Ukraine Krieg: «Sie gehen mit Frieden im Herzen…»

«Sie gehen mit Frieden im Herzen…»
Mitte April geben uns Dmitrij und Stefan einen Einblick in den Kriegsalltag in der Ostukraine. Sie erzählen traurige, aber auch ermutigende Geschichten. Gott hat die Ukraine nicht vergessen! Er versorgt unsere lokalen Partner, lesen Sie selbst:
Wie habt ihr reagiert, als ihr von der Invasion erfahren habt?
Dmitrij: Krieg ist nichts Neues für uns. Seit 2014 helfen wir den Menschen im Kriegsgebiet, aber nun ist es anders. Uns wurde sofort klar, dass jetzt alles sehr ernst ist. Vor allem, als die ersten Nachrichten von Freunden aus der Region Kiew kamen. Am 27. Februar betete ich mit meinen beiden Töchtern und hatte ein ernstes Gespräch mit ihnen. Es war sehr schwer ihnen zu sagen, dass wir uns vielleicht trennen müssen, damit sie in Sicherheit sind und ich hierbleiben kann. Meine jüngere Tochter weinte danach lange... Ein paar Tage später brachte ich meine Frau und unsere beiden Töchter in die Westukraine.
Stefan: Dank der Unterstützung von Licht im Osten waren wir vorbereitet. Im Vorfeld haben wir als Team einen klaren Handlungsplan besprochen und Notvorräte eingekauft. Wir helfen den Menschen im Kriegsgebiet in der Ostukraine bereits seit 8 Jahren. Das erste, was mir in den Sinn kam, war wie dringend unsere Hilfe nun gebraucht wird.
Was motiviert euch trotz der grossen Gefahr, in der Ostukraine zu bleiben?
Stefan: Mich motiviert die Stadt, in der ich geboren wurde und seit 52 Jahren lebe. Die Stadt, in der ich viele Freunde habe. Die Stadt, in der meine Kirchgemeinde sich zum Gottesdienst versammelt. Unsere Kirche hilft den Menschen seit dem ersten Kriegstag und auch heute noch. Jesus Christus, der für mich gestorben ist, bleibt ein leuchtendes Beispiel für den Dienst am Menschen. Ich halte fest an seinem Versprechen in Römer 8,28: Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Vorsatz berufen sind.
Dmitrij: Ich glaube, dass Gott unser Team seit 2014 auf diesen Moment vorbereitet hat. Wir verfügen über enorme Erfahrung und verlässliche Unterstützung von LIO. Ihr unterstützt uns bei allen Projekten und seid darüber hinaus in dieser schwierigen Zeit sehr wertvoll und notwendig für die Menschen, die aus der Hölle des Kriegs fliehen. Liebe Freunde in der Schweiz, Sie sind uns ein Vorbild in dieser praktischen Nächstenliebe zu Menschen, die Sie nie kennengelernt haben und vielleicht nie sehen werden!
Wir bewundern euren Mut, ihr seid wahre Helden Gottes! Ihr begegnet täglich enorm viel Leid und Not. Was war ein prägendes Ereignis?
Dmitrij: Saporoschje liegt ganz in der Nähe von russisch besetzten Gebieten. Für viele Flüchtlinge ist das die erste Stadt, die sie erreichen. Täglich kommen ca. 100 Flüchtlinge zu uns ins Hilfszentrum. Viele von ihnen mussten sich über 30 Tage in Kellern verstecken, oft ohne Essen oder Trinkwasser. Sie haben Regenwasser gesammelt oder Schnee in ihren Handflächen schmelzen lassen, nur um einen Schluck Wasser zu erhalten. Viele Kriegsopfer aus dem ständig bombardierten und beschossenen Mariupol fliehen nach Saporoschje. Ein Freund von mir hatte in der Nacht auf den 2. April Dienst an einem Kontrollpunkt am Stadtrand. Er kontrollierte die Dokumente der Fliehenden. Ein Auto fuhr auf ihn zu. Es war bedeckt mit Granatensplittern und die Scheiben waren zerbrochen. Am Steuer sass ein Mann, neben ihm seine Frau und auf dem Rücksitz zwei Mädchen im Alter von 14 und 7 Jahren. Es war offensichtlich, dass sie sehr müde waren. Sie wurden aufgefordert, den Kofferraum zu öffnen. Was die Männer dann sahen, bereitet mir selbst immer noch Gänsehaut…
Im Kofferraum des Wagens lag der verstorbene Sohn des Fahrers.
Niemand wusste, was sie tun oder sagen sollten. Es stellte sich heraus, dass die Familie auf der Flucht aus Mariupol unter schweren Beschuss geraten war. Dabei wurde der ca. 10-jährige Junge verwundet. Es gab kein Krankenhaus niemand konnte ihnen helfen. Der Beschuss ging weiter und der kleine Junge starb unterwegs im Auto. Es ist schrecklich, wenn Kinder vor den Augen ihrer Eltern sterben und sie ihre Kinder unter so schrecklichen Umständen beerdigen müssen. Ich weiss nicht, wie jemand das überstehen kann…
Unglaublich traurig, wie spendet dir Gottes Wort Trost in dieser Zeit?
Dmitrij: Das Evangelium stellt die Menschen wieder her und macht sie wieder lebendig! Die Bibel sagt: Bei Gott allein findet meine Seele Ruhe. Wenn Bedürftige zu uns kommen, suchen sie in erster Linie praktische Hilfe, wie Lebensmittel oder Hygieneprodukte, dann fragen sie uns immer, warum wir das tun. Nachdem die Menschen Hilfe erhalten haben, sprechen wir mit ihnen über Gott, über die Tragödie des Krieges oder hören ihnen einfach zu. Das Evangelium bringt ihnen Hoffnung zurück! Ich kann sehen, wie Menschen erschöpft vor unserem Zentrum warten, aber sie gehen mit Frieden im Herzen wieder weg!
Wie schön, dass Gott den Menschen einen Frieden schenkt, der stärker ist als Krieg! Welches berührende Erlebnis werdet ihr nicht mehr vergessen?
Stefan: Gerne erzähle ich euch ein praktisches Beispiel von Gottes Fürsorge: Wir hatten zuhause Mehl, Öl, Wasser und Salz, um Brot zu backen, aber die Hefe fehlte. Am vierten Kriegstag waren alle Geschäfte geschlossen. Wir verteilten Lebensmittel, damit die Menschen zuhause Brot backen konnten. Ich reiste in ruhigere Gegenden, aber selbst dort konnte ich keine Hefe kaufen. So kam ich eines Tages in die Stadt Konstantinovka, ging in ein anderes Geschäft… keine Hefe. Ich verliess den Laden und ging weiter zu einem kleinen Markt, auf dem Grossmütter Kleinigkeiten verkaufen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Und dort, zwischen diesen älteren Damen, tauchte plötzlich ein Mann auf und legte mehrere Säcke Hefe zum Verkauf aus. Der erste und letzte Kunde war natürlich ich! 25 Säcke Hefe habe ich bei ihm gekauft. Ich weinte vor Freude und dankte Gott. Diese Hefe hat uns und vielen Bedürftigen in Lyssytschansk geholfen, mit frischem Brot durch die Woche zu kommen.
Dmitrij: Letzte Woche sind Vlad und ich in ein Dorf gefahren, das vor einigen Tagen von unserer Armee befreit worden war. Das russische Militär hat vieles zerstört, es gab weder Strom, Wasser noch Gas. Wir brachten 200 Lebensmittelpakete mit, aber 250 Menschen waren vor Ort. Wir baten alle, sich aufzustellen, zuerst die älteren Menschen, dann alle anderen. Wir erzählten ihnen mit ein paar Worten, wer wir sind, warum wir ihnen diese Hilfe bringen, dass die Hilfsgüter von Christen in der Schweiz kommen und wie wichtig es ist, sich umeinander zu kümmern. Wir hatten nicht genügend Lebensmittelpakete für alle, aber ich war erstaunt: Diejenigen, die ein Paket erhielten, hatten es nicht eilig, sondern warteten, bis wir fertig waren, um zu sehen, wer noch nichts bekommen hatte. Das bewirkte die Kraft des Evangeliums!
Wie geht es euch momentan? Habt ihr konkrete Gebetsanliegen?
Dmirtij: Die letzten 50 Tage fühlen sich an wie mehrere Jahre. Wenn ich am Morgen aufwache, weiss ich selten welcher Wochentag es ist, aber ich weiss immer, was ich zu tun habe. Täglich fahre ich zum Hilfszentrum, um die Tür zu öffnen und den wartenden Menschen Lebensmittel und andere Hilfe zu verteilen. Der Krieg ist sehr nahe, zwei Drittel unseres Gebiets sind von russischen Truppen besetzt. Sie nehmen humanitäre Hilfe weg und behandeln die Zivilbevölkerung schlecht. Ich bete, dass Gott ein Wunder tut und der Krieg aufhört! Bitte beten Sie für die Menschen, die unter der russischen Besatzung leben. Oft gibt es keine Lebensmittel und keine Möglichkeit, Lebensmittel zu verteilen, da die Russen keine humanitären Güter hereinlassen. Bitte beten Sie für die Menschen, die zu uns geflohen sind und ihr Zuhause, ihre Lieben und Verwandten verloren haben. Und beten Sie bitte auch für unsere Familien, die weit von uns entfernt sind.
Stefan: Zurzeit arbeiten wir noch in der Region Lyssytschansk. Wir verteilen Lebensmittel und Medikamente. Wir evakuieren Menschen aus der Ostukraine in sicherere Gebiete. Unsere Stadt wird immer noch stark beschossen. Sehr viele Menschen verlassen unsere Region, aber Gott wacht über uns. Liebe Freunde in der Schweiz, bitte beten Sie mit uns für den Frieden! Gott wird dafür sorgen, ich glaube fest daran! Danke für alles.